Ocean University, Qingdao, China. Warum eigentlich genau diese Uni? Warum nicht England oder Spanien? Um ehrlich zu sein, bis zur Hälfte meines Aufenthalts hier hatte ich keine richtige Antwort auf diese Frage. Als mir vor dem Auslandssemester einer meiner Kommilitonen von seinem Plan, nach China zu gehen, erzählte, hatte ich mich eigentlich bereits auf das Äquivalenzstudium eingestellt. Qingdao sagte mir wenig, die Ocean University noch weniger und mit keinerlei Bezug zur chinesischen Sprache gab es kaum Verlockungen, das beschauliche Bad Homburg zu verlassen. Dann entdeckte ich allerdings die unglaublich kurze Luftlinie von Qingdao nach Osaka, Japan, meiner ehemaligen Wahlheimat. Reisepläne formten sich in meinem Kopf. Interessiert an der Idee, ein weiteres asiatisches Land nicht als Tourist, sondern als Bewohner kennenzulernen, entschied ich mich letztendlich doch für China.
Mutter, Pferd oder Frage?
Als Sprachen-Begeisterte und Reise-Fan rechnete ich nicht mit großen Schwierigkeiten, mich in China zurecht zu finden. Doch besonders die Sprache stellte mich vor ungeahnte Herausforderungen. Die Ähnlichkeiten zu Japanisch beginnen und enden mit dem Schriftsystem, was ein paralleles Lernen der Sprachen sehr verwirrend macht. Chinesisch trumpft außerdem auf mit vier verschiedenen Betonungen aller einzelnen Silben, sodass „Ma“ ohne Probleme gleichzeitig „Mutter“, „Pferd“ oder Ausdruck einer Frage sein kann. Auch das tägliche Leben in Qingdao ist – in einem Wort – ungewöhnlich. Wolkenkratzer stehen hier neben kleinen Schuppen, in denen ganze Familien leben und arbeiten. In den Wohnheimen der chinesischen Studenten gibt es kein warmes Wasser und über Nacht auch keinen Strom. Zehn Minuten mit dem Taxi entfernt findet man allerdings Rooftop Bars und Clubs, die an technischer Ausstattung ihresgleichen suchen. In diese kontrastreiche Welt stolperte ich also mit minimaler Vorbereitung und lernte bald, dass Englisch auch in chinesischen Großstädten kein verlässlicher Helfer ist. Abende mit Gesang – und Folgen
Da es mit dem Unterhalten also nicht so klappte, beschloss ich, auf das einzige weltweite Kommunikationsmittel zurückzugreifen, das ich ansatzweise beherrsche: die Musik. Nach den ersten Wochen hatte ich mich erfolgreich mit dem hiesigen Gitarrenclub in Verbindung gesetzt und nach einigen Abenden, die wir singend unter freiem Himmel auf dem Campus verbrachten, schlugen mir die anderen Mitglieder vor, mich beim Gesangswettbewerb der Uni zu bewerben. Das lehnte ich zunächst ab, denn Singen war für mich nie eine Disziplin, in der ich mich mit anderen hätte messen wollen. Nach sehr viel gutem Zureden meiner Freunde meldete ich mich dann doch noch an und absolvierte die erste Runde via Video aus dem traumhaften Sanya. Hunderte Konkurrenten
Folgen sollte eine Reihe von Ausscheidungsrunden, die mir viel mehr über die chinesische Kultur und Musik beigebracht haben, als die Cross Culture Vorlesung hier an der Uni. Für das erste Halbfinale fuhr ich zum etwas abgelegenen Laoshan Campus und traf dort auf viele Mitglieder des Kunst- und Literatur-Departments, die ihr ganzes Herz in die Organisation und Durchführung des Wettbewerbs investiert hatten. Es war sehr inspirierend zu sehen, dass ein solcher Wettbewerb mit mehreren hundert Teilnehmern von Studenten allein auf die Beine gestellt werden kann. Das zweite Halbfinale wurde bereits auf einer Bühne ausgetragen. Zu meiner Freude stand diese Bühne direkt gegenüber von unserem Wohnheim, was bedeutete, dass fast alle Teilnehmer unseres Programms, die bis dahin bereits zu guten Freunden geworden waren, vor Ort waren. Gemeinsam mit Patrick, mit dem ich schon zu accadis-Zeiten Musik gemacht hatte, wagte ich mich also in eine Halle voll Publikum und gemeinsam schafften wir es ins Finale. Ein chinesisch-deutsches Duett
Die Sorge, die ich wegen einer Erkältung und der allgemeinen Aufregung im Vorfeld auf dieses Halbfinale empfunden hatte, war wie vergessen, als ich sah, wie viele wundervolle Freundschaften ich in meiner Zeit hier bereits gewonnen hatte. Vor zwei Wochen fand schließlich das Finale statt. Laoshan Campus, eine größere Halle und ein offizieller Sponsor, dem ich es zu verdanken hatte, dass ich mein Gesicht in zahlreichen WeChat-Posts und sogar auf Plakaten wiederfand. Ich hatte mich dazu entschlossen, die erste Runde des Wettbewerbs, die ein Duett sein musste, gemeinsam mit einem chinesischen Germanistik-Studenten zu singen. Über ihn lernte ich noch weitere Mitglieder des Organisationskomitees und andere Teilnehmer kennen. Warum diese Uni?
Obwohl der Wettbewerb für mich nach der ersten Runde des Finales endete, hatte ich doch mehr gewonnen, als ich mir je erhofft hatte. Denn wenn mich heute jemand fragt „Warum eigentlich genau diese Uni?“, dann habe ich eine klare Antwort: weil ich noch an keinem Ort so viele engagierte Menschen auf einem Fleck getroffen habe, die es trotz Verständnisproblemen auf sich nehmen, mich zu unterstützen; weil die Gruppe von Menschen, mit denen ich hier zusammenlebe, schon zu einer kleinen Familie geworden ist, die ich nicht mehr missen möchte; weil es manchmal schwer fällt, Verständnis für kulturelle Unterschiede aufzubringen, aber ich nur durch das Akzeptieren und positive Integrieren dieser als Person wachsen kann. Maria Hademer Media and Creative Industries Management 2018
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